Heidelberger Appell 2012
Heidelberger Appell an die Krankenkassen, gemeinsamen Bundesausschuss, Bundestagsfraktionen sowie kassenärztlichen Vereinigungen
Sehr geehrte Damen und Herren,
schwer psychisch erkrankte Menschen, z.B. mit den Diagnosen „Schizophrenie“, „Schizoaffektive Psychose“, „schwere Depression“ oder „Bipolare Störung“, werden heutzutage überwiegend medikamentös behandelt. Dies trifft zum Einen auf die stationäre Akutbehandlung im Krankenhaus als auch auf die ambulante Nachbehandlung beim niedergelassenen Arzt zu.
Die meisten betroffenen Menschen beklagen, dass sich die Ärzte zu wenig Zeit nehmen, um mit den Patienten zu reden bzw. ihnen zuzuhören.
Dabei wären intensive Gespräche mit den betroffenen Menschen und ihren Angehörigen in Krisensituationen äußerst wichtig um die Auslöser der Krise zu verstehen. Häufig gehen mit einer schweren psychischen Erkrankung gravierende soziale, ökonomische und finanzielle Probleme einher. So geht häufig eine Beziehung in die Brüche, weil der Lebenspartner mit der Krankheit des Betroffenen überfordert ist. Viele verlieren ihren Ausbildungs- oder Arbeitsplatz und manche stehen sogar buchstäblich auf der Straße weil ihnen die Wohnung gekündigt wird.
Auch wenn die akute Krise überwunden ist, besteht meistens enormer Gesprächs- bedarf. Bei einer schweren psychischen Erkrankung spielen neben einer erblichen Disposition psychosoziale Faktoren eine entscheidende Rolle. Daher ist, neben einer Dämpfung der Symptome durch Psychopharmaka, auch wichtig zu verstehen, ob es z.B. irgendwelche biografische Ereignisse wie etwa traumatische Erlebnisse gab, die ursächlich für die Entstehung der Krankheit sind.
Von den Ärzten werden für die einseitige Fixierung auf die Pharmakotherapie häufig äußere Sachzwänge angeführt. So sind ausführliche Gespräche mit dem Patienten von den Krankenkassen und dem Gesetzgeber nicht vorgesehen bzw. werden nur gering vergütet. Außerdem fehlt es an genügend ausgebildeten ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten und anderen Professionellen, die im Umgang mit schwer psychisch erkrankten Menschen geschult und geeignet sind.
Wir fordern daher:
1. Das therapeutische Gespräch mit dem Patienten muss mindestens denselben Stellenwert in der Behandlung und Vergütung erhalten wie die Pharmakotherapie. Die Macht der Pharmalobby muss gebrochen werden.
Dazu ist es erforderlich von der einseitigen biologistischen Betrachtungsweise schwerer psychischer Erkrankungen als genetisch bedingte Hirnstoffwechselstörung abzukehren und sich verstärkt den psychologischen und sozialen Ursachen zuzuwenden
3. Ärzte,Psychologen,und andere Helfer müssen in klientenzentrierter Gesprächsführung und psychotherapeutischer Begleitung fortgebildet werden.
4. Die Kosten für die Ausbildung und Anwendung von Gesprächsführung sind langfristig wesentlich niedriger als die Folgekosten mangelnder Zuwendung.
Mit freundlichen Grüßen
Heidelberger Initiative Psychiatrie Erfahrener
Landesverband Psychiatrie Erfahrener Baden – Württemberg